…rien ne va plus? …Gesellschaftskritik und Hochschulreformen

Kann Wissenschaft sinnvoll zur Kritik der Gesellschaft beitragen?

:uniLinks! liebäugelt mit einer grundlegenden Kritik der „Realität“. Die von kapitalistischen Verhältnissen durchdrungene Gesellschaft scheint uns ein zu überwindendes Ärgernis zu sein und wir wenden uns gegen sexistische, rassistische und antisemitische Verhältnisse.

Was kann Wissenschaft sinnvoll zur Kritik der Gesellschaft in diesem Sinne beitragen? Eine schwierig zu beantwortende Frage, zumal im Rahmen eines Flugblattes. Die Vermutung, dass kritische Wissenschaften grundsätzlich aber möglich sind, soll dem Folgenden zu Grunde liegen. Da es seit einiger Zeit zu massiven Umstrukturierungen im Hochschulwesen kommt, möchten wir hier eine Einschätzung vornehmen, was diese Entwicklung für die Möglichkeit von Gesellschaftskritik innerhalb von Wissenschaften und Hochschulen bedeutet.

Das „kritische“ an Wissenschaft verstehen wir dabei erst als emanzipatorisch bedeutsam, wenn nach Herrschaft, gesellschaftlichen Interessen und praktischem Eingreifen gefragt wird, sowie Wissenschaft sich einer ständigen Selbstreflexion in bezug auf ihre Verstrickung in Gesellschaft und deren innere Widersprüche unterwirft.

…Hintergrund: Im Zuge des Bologna-Abkommens von 1999 entschieden die Hochschulen sich zu umfassenden Umstrukturierungen. Die Einführung von Bachelor/ Master-Studiengängen und Studiengebühren sind die offensichtlichsten Resultate dieser Veränderungen. Vordergründig scheint es sich dabei zunächst um eine Strukturreform zu handeln, die internationale Vergleichbarkeit, Marktorientierung und Standardisierung des Studiums sicherstellen soll. Einher damit geht allerdings eine grundlegende Neuanordnung des gesamten Hochschulwesens. Das Verhältnis der Unis untereinander, die einzelnen Unis im Ganzen, die Fakultäten und die Fachbereiche intern werden reorganisiert. Dies läuft auf die Inszenierung einer Wettbewerbssituation hinaus, bei der alle Teilnehmer_innen miteinander im ständigen Konkurrenzkampf um Ressourcen, Stellen, Mittelvergabe etc. liegen. Die verfügbaren Landesmittel werden parallel immer mehr gekürzt, wodurch der Druck zusätzlich erhöht wird. Leistungen von Wissenschaftler_innen werden zunehmend quantitativ bemessen. Gleichzeitig wird die universitäre Selbstverwaltung entmachtet. Man kann diesen Prozess als eine umfassende Ökonomisierung von Eigenschaften und Handlungsmotiven aller bezeichnen. Auch die Studierenden sollen ihr Studium an dem wichtigsten Ziel ‚Beschäftigungsfähigkeit‘ und damit an ökonomischen Kriterien (schnell, billig und willig) ausrichten.

Unter diesen Bedingungen wird der Raum für eine herrschaftskritische Perspektive an den Universitäten enger:

Forschung: Eine kritische und reflexive Forschungstätigkeit von Wissenschaftler_innen wird durch die Reformen vielfältig eingeschränkt. Zunächst verbleibt im allgemeinen weniger Zeit für intensive Forschung durch die politisch gewollte Verknappung der Ressourcen. Dazu kommt das im Hochschulrahmengesetz verankerte faktische Berufsverbot für Wissenschaftler_innen nach 12 Jahren hochschulischer Tätigkeit, falls ihnen nicht das Privileg einer Professur zukommt oder sie diese nicht anstreben. Außerdem wird das Betreiben kritischer Forschung durch die Reformen erschwert oder sogar verhindert. So werden auch Forschungsergebnisse an ihrer kurzfristigen Verwertbarkeit gemessen. Kritik am Bestehenden wird da schnell unerwünscht, Selbstreflexion überflüssig. Beides kann leicht der leistungsorientierten Mittelvergabe, der zunehmenden Drittmittelfinanzierung, sowie der zunehmend vorab mehr oder weniger festgelegten inhaltlichen Outputs innerhalb sogenannter Anwendungsforschung zum Opfer fallen. Dazu wird oftmals über eine entsprechende Berufungspolitik das Nachrücken kritischer Wissenschaftler_innen gezielt verhindert.

Lehre: Diese Situation macht sich natürlich auch innerhalb der Lehrtätigkeit der Wissenschaftler_innen bemerkbar. Zum einen wirken auch hier zunehmende Zeit- und Ressourcenknappheit. Zum anderen schränken die mit den neuen Studiengängen eingeführte Modularisierung und Curricularisierung die Möglichkeit ein, kritische Inhalte in Lehrveranstaltungen zu platzieren. Für eine intensive Beschäftigung mit Themen ist entweder keine Zeit, oder diese ist schlicht politisch nicht gewollt. Auch lässt sich unter den neuen Bedingungen schlechter reagieren auf aktuelle politische Fragestellungen bzw. auf außerhalb oder innerhalb der Uni stattfindende soziale Kämpfe. Im Allgemeinen kann eine weitreichende Standardisierung von Inhalten vermutet werden, wobei Kritik und Reflexivität wenig Raum bleibt.

Studium: Von den Einschränkungen im Bereich der Lehre ist das Studium natürlich direkt betroffen. Dazu kommt, dass sich in bezug auf die Studienorganisation das Motiv der puren Beschleunigung verselbstständigt. Jedoch kann Zeit als isolierter quantitativer Faktor als ein irrelevantes Kriterium betrachtet werden, um den Nutzen von Bildung bestimmen zu können. Den Studierenden wird hingegen suggeriert eine vor allem an der Dauer des Studiums bemessene Effizienz sei ein Wert an sich. Auch werden die Studieninhalte an ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Verwertbarkeit gemessen: Es soll möglichst ‚praxisrelevantes‘ Wissen vermittelt werden. Das weitere Interesse am Gegenstand der Fächer wird dabei eher nachrangig, wenn nicht gar irrational. Es bleibt wenig Zeit ein kritisches Verhältnis zu Inhalten zu entwickeln oder sich überhaupt erst einmal tiefergehend auseinander zusetzen. Dazu kommt, dass die Studierenden eine erhöhte Arbeitsbelastung in Kauf zu nehmen haben und zusätzlich auch noch Arbeiten müssen fürs Gebührenbezahlen. Die Möglichkeit z.B. in der studentischen Selbstverwaltung politisch aktiv zu sein, wird dadurch eingeschränkt. Auch verbleibt weniger Zeit, neben den offiziellen Studieninhalten andere (etwa kritische) Inhalte wahrzunehmen und sich damit zu beschäftigen.

Könnte dies vermehrt auf die Herstellung von Subjektivitäten hinauslaufen, die phantasielos und geduckt, nicht nur demokratiefeindliche und neoliberale Verschiebungen in der Universität hinnehmen, sondern deren Logik auch konform geht mit anderen gesamtgesellschaftlichen autoritären Umstrukturierungsprogrammen wie z.B. der aktuellen großkoalitionären Verschärfung der Hartz 4- Regelungen?

Gerechtigkeit? Die Umstrukturierungen gehen einher mit der Einführung von Studiengebühren. Dass diese mit der Beförderung sozialer Gerechtigkeit entgegen der Beteuerungen seitens z.B. des Bielefelder Rektorates und der Landesregierung NRW wenig zu tun haben, sparen wir uns hier auszuführen. Es lohnt sich allerdings noch einmal darauf hinzuweisen, dass dies im Kontext einer größeren Umformung im ganzen Bildungssystem wie in der gesamten Gesellschaft steht. Dabei wird der Gerechtigkeitsgedanke von allen Vorstellungsresten gesellschaftlicher Verteilung abgekoppelt und auf die Herstellung formal gleicher individueller Startchancen in der Bildung reduziert. „Gerechtigkeit“ meint immer weniger „Gerechtigkeit im Ergebnis“. Dies wird durch die Teilung des Studiums in BA und MA ebenfalls massiv befördert. So ist in vielen Studiengängen vorgesehen, dass nur 20 % der BA-Absolvent_innen im Master weiterstudieren.

Demokratie an der Uni: Von demokratischen Verhältnissen an den Unis kann schon bisher nicht die Rede sein, wie es uns in Bielefeld bei der Senatssitzung Anfang Februar im Audimax nicht besser hätte vorgeführt werden können. Die Vertreter_innen der Professor_innen nutzten ihre absolute Mehrheit in diesem Gremium ohne Zögern dazu mit dem Beschluss der Einführung von Studiengebühren einen massiven Eingriff in das Leben von 16000 Studierenden vorzunehmen. Allerdings werden sehr wahrscheinlich auch die bisherigen Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden und Mittelbau weiter eingeschränkt werden. So ist beispielsweise im neuen sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz in NRW vorgesehen an den Unis sogenannte Hochschulräte einzuführen. Die Hochschulräte sollen faktisch die Senate als oberste Gremien der Universitäten ablösen. Diese Räte allerdings sollen entweder ganz oder zur Hälfte von Externen bestimmt werden. Die Landesregierung würde so direkt in die Geschicke der Unis eingreifen können, die Selbstverwaltung wäre abgeschafft. Diese neuen Gremien werden, so ist anzunehmen, die auch jetzt schon festzustellende Politik der Rektorate einer nach Effektivität und Effizienz ausgerichteten manageriellen Steuerung (Privatisierungen, betriebswirtschaftliche Organisierung) ausweiten.

…one step foreward…

:Unilinks! wendet sich gegen die aktuellen Reformen und die dahinterliegende neoliberale Logik. Die den aktuellen Reformen hintergründige Annahme, dass auf diese Weise der gesellschaftliche Nutzen von Bildung und Wissenschaft vermehrt werden kann ist gänzlich unbewiesen. Sowieso bezieht diese sich nur auf den Rahmen kapitalistischer Vergesellschaftung und der damit einhergehenden Standortkonkurrenz. Diesen gilt es prinzipiell in Frage zu stellen. So nehmen wir auch die bisherige undemokratische Einrichtung der Unis und die auch bislang schon in weiten Teilen nach Verwertbarkeitskriterien ausgerichtete Organisation von Studium, Forschung und Lehre in die Kritik. Letztere war und ist beispielsweise auch innerhalb der „alten“ Studiengänge durchaus gegeben.

:uniLinks! liebäugelt mit einer Erweiterung herrschaftskritischer Perspektiven an den Hochschulen. Dazu scheint es zunächst wichtig zu sein die hinter den aktuellen Reformen liegende Logik als politisches Programm zu identifizieren. Dieses tritt meist im Mantel vermeintlich interessenentbundener Sachzwänge in Erscheinung. Eine politisch-gesellschaftliche Entwicklung wird naturalisiert. Eine solche scheinbare Alternativlosigkeit muss in Frage gestellt werden. Hierzu sollte die Umstrukturierung der Hochschulen im gesamtgesellschaftlichen Kontext kritisiert werden. Das neoliberale Programm an den Unis macht nur Sinn, in dem es sich auf die durch den Kapitalismus notwendig hervorgebrachten Krisen bezieht, welche Bedingung des Programms sind. Darum kann Kritik hier ohne generelle Gesellschaftskritik nicht auskommen. Letztere wiederum sollte von kritischen Wissenschaften mit formuliert werden. Dies scheint im Interesse eines Verbleibs und Ausbaus der Möglichkeiten kritische Wissenschaften überhaupt betreiben zu können absolut notwendig. Und hier sollten sich Studierende wie Lehrende gleichermaßen angesprochen fühlen..

:UniLinks! geht es mit dieser Kritik der aktuellen Hochschulreformen und der damit verbundenen Forderung eines politischen Kampfes gegen diese Reformen, wie bereits erwähnt, nicht um eine Idealisierung alter Verhältnisse. Kritische Wissenschaften sowie der politische Kampf für ihr Bestehen sollten vielmehr als Teil eines gesellschaftlich emanzipatorischen Projekts verstanden werden. In diesem Sinne sollte die Möglichkeit der Kritik ausgebaut und mit andernorts stattfindenden sozialen Kämpfen verknüpft werden. Auch fordern wir die Ausweitung demokratischer Verhältnisse an den Unis und darüber hinaus. Demokratisierung könnte in diesem Sinne allerdings auch bedeuten den Objektivitätsanspruch von Wissenschaft in Frage zu stellen, sowie das Konzept der Objektivität selbst historisch zu relativieren. Wenn auch dies nicht heißen soll darauf zu verzichten, zu wissen was gültig ist, solange man verändern will. Vielmehr könnte es um eine auf allen Ebenen stattfindende kritische Reflexion dessen was sich als Wirklichkeit und Wahrheit darstellt, gehen.

Nichts muss so sein wie es ist                                                                                               :uniLinks!

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